Die britische Wohltätigkeitskommission (Charity Commission) beabsichtigt schon seit längerem, sich mit Vorwürfen an die Adresse der Wachtturmgesellschaft in einer Untersuchung zu befassen. Neben den Praktiken, wie die Gesellschaft im Fall von sexuellem Kindesmissbrauch in den eigenen Reihen umgeht, geht es auch darum, ob Opfer solcher Taten gezwungen worden sind, ihren Peinigern Auge in Auge zu begegnen.

Die Anwälte der Gesellschaft haben die Untersuchung seit mehr als zwei Jahren mithilfe von Rechtsmitteln verhindert. Die Wachtturmgesellschaft hat diese Bemühungen nunmehr eingestellt und den Rechtsstreit für beendet erklärt.

Die britische Wohltätigkeitskommission hatte mit ihren Nachforschungen bereits im Mai 2014 begonnen, nachdem Vorwürfe laut geworden waren, dass Opfer von Vergewaltigungen und sexuellem Missbrauch, darunter auch Kinder, gezwungen worden sind, mit ihren Angreifern in internen „Justizausschüssen“ konfrontiert zu werden.

Die Zeugen Jehovas widersetzten sich jedoch einer Untersuchung der Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft von Großbritannien (WTBTS), die die britischen

1.500 Versammlungen des Landes beaufsichtigt und von der angenommen wird, dass ihr eine Schlüsselrolle bei der Entscheidung darüber, wie die Missbrauchsfälle in der Gemeinschaft behandelt werden, zukommt.

Die WTBTS, die im vergangenen Jahr einen Umsatz von über 80 Millionen britische Pfund erwirtschaftete, legte jedoch eine Reihe von Rechtsmitteln mit dem Ziel ein, eine solche Untersuchung zu verhindern.i

Dazu gehörte der Versuch, im Obersten Gerichtshof des Landes die Entscheidung der Kommission, eine Untersuchung einzuleiten, anzufechten. Die Wohltätigkeitsorganisation kämpfte auch in den unteren Gerichten gegen Anordnungen, die sie verpflichten würden, der Kommission Zugang zu Aufzeichnungen zu gewähren, die aufzeigen könnten, wie sie Anschuldigungen von Kindesmissbrauch behandelt.

Die Kommission gab in der letzten Woche bekannt,ii dass die WTBTS nach nunmehr mehr als zweieinhalb Jahre seit dem Beginn der Untersuchung einige der Dokumente, um die sie die Gesellschaft ersucht hatte, überlassen hat.

Die WTBS hat auch das letzte ihrer Rechtsmittel gegen die Untersuchung fallen gelassen, nachdem das Oberste Gericht sich geweigert hatte, sich mit diesem Fall im Juli d.J. zu befassen.

Obwohl es allgemein betrachtet schon vorkommen könne, dass Wohltätigkeitsorganisationen gegen Entscheidungen der Kommission mit rechtlichen Schritten vorgingen, sei das Verhalten der WTBS in seiner Länge und seinem Ausmaß in den vergangenen Jahren ohne Beispiel gewesen, sagte ein Sprecher der Kommission gegenüber dem The Guardian im letzten Jahr.

Aktuell gibt es jedoch eine neue Entwicklung:

„Im Licht des Verlaufs der Untersuchung und der Informationen, die die Kommission vom Wachtturm und andern Quellen erhalten hat, ist die Gesellschaft damit einverstanden, ihren Widerspruch gegen den Gerichtsbeschluss zur Vorlage von Dokumenten zurückzuziehen. Damit hat der Wachtturm sein Einverständnis erklärt, dass seine diesbezügliche Eingabe gegenstandslos geworden ist und eine gemeinsame Erklärung dem Gericht vorgelegt werden konnte, um die Verhandlungen abzuschließen.

Die Wachtturmgesellschaft wird nun mit der Kommission zusammenarbeiten, um den Sachverhalten auf den Grund zu gehen, die Gegenstand der gesetzlichen Untersuchung sind und um den behördlichen Anliegen der Kommission nachzukommen.“

Die Kommission führt derzeit eine gesonderte Untersuchung in der Gemeinde Manchester New Moston durch,iii wo drei inzwischen erwachsene Missbrauchsopfer angeblich dazu gezwungen worden sind, ihrem Missbraucher gegenüberzutreten, kurz nachdem dieser aus dem Gefängnis entlassen worden war, wo er für seine Übergriffe eine Arreststrafe verbracht hatte.

Er wurde später angeblich von der Gemeinschaft „ausgeschlossen“, oder aus seiner Religion entfernt. Zwei Frauen sagten gegenüber dem The Guardian im letzten Jahr dagegen aus, dass es ihm tatsächlich erlaubt worden war, in der Gemeinschaft zu verbleiben, obwohl Ausschlüsse oft wegen viel geringfügigerer Vergehen, so wie beispielsweise für Glücksspiel, ausgesprochen werden würden.

Eine Frau, die als Erwachsene vergewaltigt worden war, sagte, sie sei von den Ältesten ihrer Versammlung aufgefordert worden, ihrem Vergewaltiger in einer privaten Anhörung gegenüber zu treten, was sie so sehr traumatisiert habe, dass in der Folge ihre Ehe daran zerbrochen sei.

Ein Sprecher der Zeugen Jehovas sagte dazu im vergangenen Jahr: „Wir sind nicht in der Position, so etwas zu verlangen und wollen es auch nicht, dass jedes Opfer eines Missbrauchs dazu gezwungen wird, mit seinem Angreifer konfrontiert zu werden.“

Rechtsanwalt Thomas Beale von AO Advocates, der im vergangenen Jahr einen Zivilprozess gewonnen hatte, in dem festgestellt wurde, dass die Zeugen Jehovas es versäumt hatten, eine Frau vor sexuellem Missbrauch zu schützen, was bei ihr im Alter von vier Jahren begann, sagte zu der Entscheidung der Kommission, dass die jetzt geschlossene Vereinbarung es der WTBS erlauben würde, wichtige Informationen weiterhin zurückhalten.

„Natürlich begrüßen wir die laufende gesetzliche Untersuchung über die Sicherungspolitik der Zeugen Jehovas und freuen uns auf die Möglichkeit, ihre Ergebnisse später überprüfen zu können,“ kommentiert er das Ergebnis.

„Doch angesichts unserer Erfahrung mit den Zeugen Jehovas vor Gericht sehen wir der Möglichkeit einer gründlichen und robusten Untersuchung auch angesichts des jetzigen Einlenkens der WTBS mit Skepsis entgegen. Wir sind der Meinung, dass die Chance für eine vollständige Offenlegung der Information zu Missbrauchsfällen tatsächlich nur sehr gering ist. „

Die Organisation der Zeugen Jehovas sieht sich mit ähnlichen Forderungen auch im Ausland konfrontiert. Im vergangenen Jahr hat eine Untersuchung in Australien entschieden, dass die Organisation Kinder nicht in ausreichender Weise vor sexuellem Missbrauch schütztiv und dass ihre internen Verfahren zum Schutz vor Missbrauch zu schwach sind.

Ähnliche Vorwürfe wurden auch in Kanada erhoben.

Ein Sprecher der Zeugen Jehovas sagte im vergangenen Jahr gegenüber dem The Guardian: „Die Ältesten der Kongregation halten Opfer nicht davor zurück, die Taten anzuzeigen oder schützen die Missbraucher gegenüber den Behörden vor den Konsequenzen ihrer Handlungen.“

Fay Maxted, die Chefin des Survivors Trust, forderte die WTBTS dazu auf, sich bei den Betroffenen dafür zu entschuldigen, dass ihre Taktik zu den „schrecklichen Verzögerungen“ geführt habe.

„Die Glaubensgemeinschaften müssen zur Kenntnis nehmen, dass ihre rechtlichen Eingaben, eine nach der anderen, den Opfern und Überlebenden erhebliche Schäden und Schmerzen verursachen, wenn sie daran gehindert werden, ihre Informationen und Erfahrungen anderen mitzuteilen“,

sagte sie. „Es fällt sehr schwer, unter solchen Umständen daran zu glauben, dass die besten Interessen des Opfers oder Überlebenden in irgendeiner Weise berücksichtigt werden.“

Maxted sagte, sie hoffe, dass die Entscheidung der WTBS, Informationen mit der Kommission zu teilen, nunmehr auch tatsächlich eine Änderung im Hinblick auf die Bedürfnisse von Opfern und Überlebenden bedeutet.

Quellen: theguardian.com / gov.uk / manchestereveningnews.co.uk / theguardian.com (2) / cbc.ca