Die Zeugen Jehovas sehen sich in Großbritannien in einem Fall von sexuellem Kindesmissbrauch einer Forderung von Gerichtskosten und Opferentschädigung von insgesamt mehr 1 Mio. £ (GBP) umgerechnet ca. 1.19 Mio. Euro gegenüber. Das Opfer, nunmehr in ihrem dritten Lebensjahrzehnt, war als kleines Mädchen in der Ortschaft Loughborough von dem damaligen Dienstamtgehilfen Peter Stewart über einen Zeitraum von fünf Jahren sexuell missbraucht worden. Die Taten seien in den 80er und 90er Jahren verübt worden. So der Vortrag des Klägers vor dem High Court in London.  Im vergangenen Jahr hatte das Gericht bereits festgelegt, dass die Organisation der Zeugen Jehovas eine finanzielle Schadensersatzleistung von 275.000 £ für ihr Versäumnis, das Opfer zu schützen oder andere Eltern vor Stewart zu warnen, zu zahlen habe. Gegen dieses Urteil hatte die Gesellschaft Einspruch eingelegt.

In der vergangenen Woche wurde dieser Einspruch jedoch von dem Berufungsgericht zurückgewiesen. Das Gericht entschied, dass die Organisation sowohl dem Opfer von Stewart die Entschädigung von 275,000 £ als auch die gesamten aufgelaufenen Gerichtskosten von geschätzten 1 Mio. £ zu zahlen habe.

Stewart, der in seiner Eigenschaft als Zeuge Jehovas Bibelstudien mit Interessierten durchführte und im sogenannten Haus-zu-Haus-Predigtdienst tätig war, hatte das Mädchen, dessen Name aus rechtlichen Gründen nicht genannt wird, in einem wöchentlichen Zeitabstand über fünf Jahre missbraucht.

Das Mädchen war dadurch so sehr traumatisiert worden, dass ihre Ausbildung und ihre spätere Laufbahn massiv beeinträchtigt waren. Sie litt unter Alpträumen und plagte sich sogar wiederholt mit dem Gedanken an Selbstmord.

Als ihr Ehemann sie während eines Urlaubs „ohnmächtig in ihrem Bett neben einem Stapel von Paracetamol Tabletten fand“, hatte die Angelegenheit einen Höhepunkt erreicht. Sie hatte im Jahr 2000 erfahren, dass Stewart vor einer Entlassung aus der Haft stand. Daraufhin berichtete sie ihrer Mutter von seinen Taten.

Nunmehr wurde im Folgejahr auch die Polizei eingeschaltet, die jedoch nicht mehr gegen Stewart vorgehen konnte, da dieser im gleichen Jahr im Alter von 72 Jahren verstorben war. Er war bereits im Jahr 1995 wegen des Missbrauchs von einem jungen Schulmädchen und einem Jungen, einem Zeugen Jehovas, verurteilt worden.

In dem neuen Fall wies die Organisation der Zeugen jede Verantwortung für die Taten ihres Dienstamtgehilfen zurück. Ihren Anwälten zufolge war Stewart in dieser Eigenschaft kein Angestellter der Kirche, sondern handelte nach den Zusammenkünften eher aus freien Stücken, „etwas mehr als ein reguläres Mitglied, eher so etwas wie ein Ordner.“ Verantwortung für das Wohlergehen von Kindern sei ihm keinesfalls übertragen worden.

Mit der Begründung, dass es sich nicht einfach um einen Fall von Gelegenheitsmissbrauch gehandelt habe, wies der vorsitzführende Richter Floyd diesen Einwand jedoch zurück.

Die Position von Stewart als Dienstamtgehilfe sei mit einem „Beschäftigungsverhältnis durchaus vergleichbar“ und habe ihm den Status einer Vertrauensperson verliehen. Mit diesem offiziellen Status „habe er eine Autorität inngehabt, die ihm den Zugang zu unbegleiteten Kindern überhaupt erst ermöglichte.“ Wäre das nicht so gewesen, hätte die Mutter seines Opfers ihm niemals Zugang zu ihrem Haus gewährt.

Älteste der Glaubensgemeinschaft hätten es zudem in den 90er Jahren versäumt, angemessene Schritte zum Schutz von Kindern einzuleiten, nachdem Verdächtigungen laut geworden waren, dass Stewart sich an einem anderen Mädchen vergriffen haben soll.

Aus diesen Gründen sei es „fair und angebracht“, dass die Leitung der Glaubensgemeinschaft für die Entschädigung des Opfers aufkomme, so Richter Floyd.

Quelle: leicestermercury