Bis auf die getreuen und in kognitiver Dissonanz verharrenden Angehörigen der Wachtturm-Organisation, die sich Zeugen nennen, obwohl sie selbst nicht wissen, was sie eigentlich nach bestem Wissen und Gewissen aus eigener Erfahrung oder Erkenntnis denn bezeugen können, wissen alle anderen mit der Materie befassten längst Bescheid:

Die Wachtturm-Organisation hat in Australien, wo immer möglich, den Missbrauch von Kindern in ihren Reihen gedeckt und versucht, solche Fälle zu vertuschen und unter den Teppich zu kehren.

Das ist ein Ergebnis der Untersuchung der australischen Untersuchungskommission (ARC), die sich mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern in Kirchen und anderen Organisationen befasst und auch die Frage untersucht, inwieweit sich die jeweiligen Verantwortlichen gegenüber Opfer und Täter verhalten haben.

Wie bereits berichtet, wird der Wachtturm-Gesellschaft in Australien vorgeworfen, die Täter durch ihre Entscheidung, die Taten nicht an die Behörden zu melden und die Angelegenheit in eigener Zuständigkeit zu regeln, mittelbar begünstigt zu haben.

Mehr noch, es ist während der Anhörungen deutlich geworden, dass dieses Vorgehen für die Opfer zusätzliche unnötige traumatische Erfahrungen bedeutet. Im Umkehrschluss heißt das für die Gesellschaft, dass sie sich selbst mit ihren Anordnungen in eine verantwortliche Position gebracht hat, in der sie für die erlittenen Schäden der Opfer haftbar gemacht werden kann.

Die Kommission hat im Fall der Wachtturm-Gesellschaft 1006 Täter, die Zeugen Jehovas waren oder noch sind, identifiziert. Die Gesellschaft muss den Worten von Angus Stewart, einem der leitenden Mitglieder der Kommission damit rechnen, dass sie für die Schadensersatzleistungen für die Opfer aufkommen muss.

Angus Stewart kommt zu einer für die WTG niederschmetternden Endbewertung

Nehmen wir einmal an, dass auf einen Täter jeweils nur ein Opfer kommt, was allerdings sehr unwahrscheinlich ist, da der gleiche Täter in einigen Fällen mehrere Taten begangen hat, kommen wir auf 1006 potenzielle Schadensersatzfälle – und da sind außerdem nur die, die von der Kommission zweifelsfrei festgestellt worden sind, während andere Beobachter von einer Zahl von etwa 7000 tatsächlichen taten ausgehen.

Nehmen wir weiter an, dass Schadensersatzforderungen nur in der Hälfte der Fälle erhoben werden und nur 50% dieser Opfer eine Entschädigung wegen zusätzlicher traumatischer Erlebnisse zuerkannt werden, die auf die Regelungen der Wachtturm-Gesellschaft zurückgeführt werden.

Unter der Bedingung, dass sie anstelle der üblichen in Australien vorgesehenen Zahlung von 65.000 Dollar, sagen wir 80.000 Dollar zuerkannt bekommen, kommen wir auf 250 mal 65.000 Dollar und 250 mal 80.000 Dollar auf eine Gesamtsumme von 36.250.000 Dollar.

Aber damit sind wir noch nicht am Ende. Der siebte Tag der Anhörung des Anwalts der WTG, Vince Toole, zu seiner Rolle und zu seinem rechtlichen Verantwortungsbereich – zu seiner Aufgabe gehörte u.a. die Entgegennahme von Meldungen von sexuellem Kindesmissbrauch – brachte noch einen weiteren bedeutsamen Aspekt zutage:

  • Angus Stewart: Sie sagten, dass Sie diese Aufgabe in alleiniger Zuständigkeit für einen Zeitraum von zwei Jahren oder vielmehr zweieinhalb Jahren wahrgenommen haben?
  • Vince Toole: Ja, in einem Zeitraum von ungefähr zwei Jahren habe ich solche Anrufe persönlich angenommen.
  • Stewart: Und das waren Anrufe, die Anschuldigungen von sexuellem Kindesmissbrauch betrafen?
  • Toole: Ja.
  • Stewart: Und um wieviel Anrufe ging es in diesem Zeitraum? Was ist Ihre Schätzung?
  • Toole: Ich kann das nicht genau sagen, aber vermutlich waren es bis drei oder vier solcher Anrufe im Monat.

Stellen wir eine neue Schätzung an und das sehr zugunsten der Wachtturm-Gesellschaft:

Wenn wir davon ausgehen, dass wir es mit vier Missbrauchsfällen im Monat zu tun haben und es sich um nur einen Täter und ein Opfer handelt, von denen nur die Hälfte Schadensersatz in der regulären Höhe fordert, ohne Forderungen wegen zusätzlicher Traumata, kommen wir auf jährlich 24 Opfer, die gegen die Wachtturmgesellschaft vorgehen werden, was eine Schadensersatzsumme von 1.560.000 Dollar im Jahr bedeuten würde.

Wenn wir diese theoretisch mögliche finanzielle Größenordnung in Bezug zu der Zahl der Zeugen Jehovas in Australien setzen, die derzeit bei ungefähr 80.000 Mitgliedern liegt und annehmen, dass jeder Zeuge monatlich 20 Dollar für die Gesellschaft spendet, was nicht sehr wahrscheinlich erscheint, würden jährlich annähernd 1/12 der Spendeneingänge für Schadensersatzleistungen des jeweiligen Jahres fällig werden.

Eine erhebliche finanzielle Last, nachdem der erste fällige Gesamtbetrag von 36.250.000 Dollar für die Opfer der vergangenen Jahre gezahlt worden ist – wie auch immer.

Und wie soll es weitergehen, wenn die Gesellschaft an ihrer starren Regelung festhält, die eigentliche Problematik mit pädophilen Brüdern in ihren Reihen damit nicht in den Griff bekommt und jährlich weitere Opfer ihre Ansprüche anmelden?

Ist es übertrieben zu sagen, dass sich über der Wachtturm-Gesellschaft in Australien am Finanzhimmel Sturmwolken zeigen, die für ihre Zukunft und nicht nur in diesem Land nichts Gutes erwarten lassen?

Quelle: BBC